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Grażyna Przybylska-Angermann

RHYTHMIK als Prävention in der Musikerausbildung  

 
Karl Heinrich Ehrenforth zur Rhythmik

Karin Jehrlander - Fünfertakte
Annette und Moritz Hartung - Rhythmik in ehemaligen Kriegsgebieten - Musiegt in Bosnien
Reinhard Ring - Rhythmik - das Spezielle daran
Symposium "Die Identität der Rhythmik", Biel 1996
Silvia del Bianco/ Paul Hille
Reinhard Ring/ Marie-Laure Bachmann

 

„Zeige, was du hörst“

„Spiele, was du siehst“

 

Zusammenfassung

Die Rhythmik wurde Anfang des zwanzigsten Jahrhunderts von dem Schweizer Musikpädagogen Emile Jaque-Dalcroze entwickelt und versteht sich als eine musikpädagogische Disziplin.

Die Entwicklung rhythmischer Fähigkeiten erfordert eine spezifische methodische Vorgehensweise. Charakteristisch für Rhythmik sind sog. Spiel-Lern-Situationen in denen Musik in rhythmische, ganzkörperliche Bewegung umgesetzt wird.

 

Die Wirkung erklärt sich aus dem tief greifenden Erleben von Musik und Bewegung, was zu nachhaltiger Wandlung der Persönlichkeit führt.

 

Dabei werden für den Musikerberuf wichtige Kompetenzen trainiert:

        die musikalische Kompetenz,

        die intra-personale Kompetenz (Ich-Identität, Rückkoppelung zu eigenen Wahrnehmungen, Empfindungen, Emotionen und Gedanken) sowie

        die interpersonale Kompetenz (Qualität des Austausches mit anderen)

 

Rhythmik für Instrumentalisten und Sänger wird an Musikschulen, Konservatorien und Musikhochschulen angeboten. Rhythmik als Hauptfach kann in Deutschland im Rahmen des Diplomstudiengangs Musikerziehung/DME an Musikhochschulen studiert werden.

 

Schlüsselwörter

Bewegungskoordination - Emile Jaques-Dalcroze - Kommunikation - Rhythmik - Sensomotorik - Spontaneität - Synästhesie

 

Summary

Die Rhythmik, La Rythmique, The Eurhythmics as a discipline in the field of musical education was developed at the beginning of the 20th century.

 

The Swiss music teacher Emile Jaques-Dalcroze regarded thorough physical training as crucial to the ability of musical expression. From his point of view, the interpretation of complete compositions, and classes based on improvisation should complement each other.

 

Eurhythmics are a method of musical education that makes use of synergy effects between music and movement in the course of learning. The ‚translation method’ can enrich creative processes by the experience of synaesthetical sensations. An individually developed technique strives for a better personal competence with regard to introspection, self-control, and self-responsibility. The teaching of Eurhythmics holds that learning is an „open process to grasp relations and their symbolism“. Due to particular tasks, the group learning stimulates communication and interacting processes. Thus, Eurhythmics are not only a training of musical skills, but of intra-personal (self-awareness, feed back to one’s own perceptions, sensations, feelings and thoughts) as well as inter-personal (the quality of contact with other people) competency necessary for a professional musician.

 

Eurhythmics for instrumentalists and singers can be studied at music schools, conservatories and colleges of music. At German colleges of music it is usually possible to study Eurhythmics as one’s main subject (Musical Education Graduate = Diplomstudiengang Musikerziehung / DME).

 

Keywords

Communication- Coordination of movement - Emile Jaques-Dalcroze - Eurhythmics Sensory motor activity - Spontaneity - Synaesthetical sensations

 


Einleitung

Die Rhythmik, La Rythmique, The Eurhythmics entstand als eine musikpädagogische Disziplin Anfang des zwanzigsten Jahrhunderts und wurde zuerst unter dem Namen ihres Begründers als „Methode Jaques-Dalcroze“, später auch als „Rhythmische Gymnastik“ oder „Rhythmisch-musikalische Erziehung“ bekannt und seitdem weltweit verbreitet. Bereits 1913 ist an der staatlichen Hochschule für Musik in Berlin die Methode Jaques-Dalcroze für die Gesangsabteilung und Klassen der Orchesterschule eingeführt worden.  Obwohl kein Zweifel besteht an der Notwendigkeit rhythmischer Erziehung bereits im Kindesalter als eine elementare Schule des Bewegungsverhaltens, sind auf diesem Gebiet in nahezu allen Bildungsbereichen immer wieder große Defizite zu beklagen.

 

Der Name bezog sich vorerst auf den körperlichen Nachvollzug von musikalischem „Rhythmus“. Die Methode basiert auf der Entsprechung zwischen Musik und Bewegung. Beide Ausdrucksmedien verlaufen in einer bestimmten Zeit, wirken dynamisch durch Umsetzung von Energie/Kraft und breiten sich im Raum aus. Dieses Verständnis einer „rhythmischen Bewegung“ stellt heute die Basis dar, einer Auseinandersetzung mit dem komplexen Phänomen „Musik“, nicht nur mit ihrem zeitlichen Teilaspekt - dem Rhythmus.

 

Emile Jaques-Dalcroze ( geb. 6.7.1865 in Wien, gest. 1.7.1950 in Genf), Schweizer Musikpädagoge, war der Begründer dieses neuen Verständnis von Musik und Bewegung. Er studierte in Genf, Paris und Wien. Als er Professor für Theorie und Solfège am Genfer Konservatorium wurde, hatte er durch seine vielfältigen Interessen und Tätigkeiten als Schauspieler, Sänger und Poet, als Pianist, Komponist, Musikethnologe und Kapellmeister bereits eine breite Basis für die reformatorischen Experimente und Bildungskonzepte. 1911 erhielt er die Gelegenheit die späterhin legendäre Lehrstätte für Rhythmik in Hellerau bei Dresden aufzubauen (Günter, 1990).

 

Der Ursprung und das Anliegen der Rhythmik resultiert aus der Beobachtung der Lernprobleme, die Dalcroze bei den Schülern des Konservatoriums machte.

 

Die Voraussetzungen, die ein Musikstudium erfolgreich machen, baute er nicht, wie damals üblich, auf dem „musikalischen Gehör“ auf, sondern formulierte im Jahre 1907 wie folgt:

 

... ein Schüler brauche „eine Vielheit von Kräften und Eigenschaften körperlicher und geistiger Art ... Diese sind einerseits: Gehör, Stimme und Tonbewusstsein, und andererseits: der gesamte Körper und das Bewusstsein des körperlichen Rhythmus“. Das wiederum „bildet man aus durch immer wiederholte Erfahrungen beim Muskelspannen und -entspannen in allen Graden der Kraft und der Geschwindigkeit“ (Jaques-Dalcroze, 1988, S. 48).

 

Die Fähigkeit, sich musikalisch auszudrücken, verband er also ursächlich mit gründlicher körperlicher Vorbereitung.

 

Dalcroze suchte gleichzeitig nach Parallelen, die die sog. Zeitkünste - Musik und Bewegung/Tanz- verbinden:

 

„Die Musik besteht aus Klang und Bewegung. Der Klang ist eine Form der Bewegung, sekundärer Natur. Der Rhythmus ist eine Form der Bewegung, primärer Natur. Im Musikunterricht sind folglich zu allererst Bewegungen zu üben ... Dabei muss man beständig die Form der Bewegung, d .h. das Verhältnis von Zeit, Raum und Kraft, beobachten und regulieren. Da es zur vollkommenen Darstellung der Rhythmen durchaus nötig ist, sein (des Körpers - Verfasser) Kräftespiel zu beherrschen, sollen die Muskeln - jeder für sich und alle zugleich - dynamische Übungen vornehmen.“(Jaques-Dalcroze,1988, S. 55) Dieses Spannungs-Training sollte so früh wie möglich „... gleich beim Beginn ihrer Studien ..., d. h. zu einer Zeit also, wo Körper und Gehirn sich Hand in Hand entwickeln und einander beständig Eindrücke und Empfindungen mitteilen ...“ stattfinden (Jaques-Dalcroze, 1988 S. X).

 

Den Sinn einer damals vorwiegend auf technische Fertigkeit ausgerichteten Instrumentalbildung stellte Jaques-Dalcroze in Frage. Er suchte nach einer Unterrichtsform, die den Instrumentalisten eine neuartige Annäherungsweise an Musikwerke erlauben würde. Die Werke sollten sowohl formal-stilistisch wie auch in der emotionalen Dimension der Musik physisch erlebbar und räumlich dargestellt werden.

Der Spontaneität maß er eine außerordentlich wichtige, inspirierende Funktion zu. Der für ihn so bedeutsamen Interpretation fertiger Musikstücke stellte er komplementär einen auf Improvisation - der „Stegreifkunst“ - basierenden Unterricht entgegen.

 

Die Übersetzungsmechanismen der Rhythmik - Musik in Bewegung und Bewegung in Musik - sollten so intensiv verinnerlicht werden, dass der Schüler sie beim individuellen Üben am Instrument als basale Fähigkeit benutzen konnte. Um weiter zu kommen sollten die Musikschüler von Dalcroze „nicht länger üben, sondern anders üben“.

 

Definition

Rhythmik ist eine musikpädagogische Disziplin, deren Gegenstand die Vermittlung ästhetischer und körperlicher Inhalte ist, die auf dem Synergieeffekt von Musik und Körperbewegung beruhen.

 

Die „rhythmische Bewegung“ wird dabei als äußeres Merkmal komplexer Zusammenhänge von Musik, Emotionen und Denken betrachtet.

 

Durch ihre spezifische methodische Vorgehensweise entwickelt Rhythmik die Fähigkeit zu

        höherer musikalischer Kompetenz,

        vertiefter intrapersonaler Kompetenz (Ich-Identität, Rückkopplung zur eigener Wahrnehmung, Empfindung, Emotionen und Gedanken) sowie

        erweiterter interpersonaler Kompetenz (Qualität des Austausches mit anderen Menschen).

 

Rhythmik hat das Ziel, gleichzeitig die künstlerischen und körperlichen Ausdrucksmöglichkeiten zu fördern und das kreative Verhalten zu erweitern.

Wirkungsweise

Musik und Bewegung - verstanden als zwei Ausdrucksmedien - werden meist unabhängig voneinander untersucht und unterrichtet.

 

Als musikpädagogisches Bewegungsfach stellt Rhythmik jedoch eine Ausnahme dar. Rhythmik bezieht Musik und Bewegung direkt aufeinander. Die tief greifenden Wirkungen rhythmischer Bewegungen lassen sich aus einer elementaren Beziehung dieser beiden Ausdruckmedien ableiten.

 

        Musik weckt starke Emotionen. Die enge Verbindung zwischen Emotion und Bewegung fördert eine Potenzierung des Erlebens beider Medien (Goller, 1992). Diese Erfahrung erlaubt wiederum, die Wechselwirkung zwischen Sinneseindrücken und Bewegung zu erkunden und sie zunehmend bewusst differenziert sowohl körperlich als auch musikalisch zu gestalten (Gibson, 1973). Durch diese mehrdimensionale Betrachtungsperspektiven ist Rhythmik eine Form der künstlerischen Körperarbeit (Moeglin, 2002).

 

        Das intensive Erleben und die hohe Konzentration auf rhythmische Prozesse hinterlassen Spuren in der Wahrnehmung und Erinnerung. Dabei wird das Unterscheiden zwischen möglichen Varianten gelernt, aus der Fähigkeit zu variieren erwächst die Fähigkeit zu wiederholen. Die Verhaltensmuster können dadurch besser verfeinert und ihre Anzahl vergrößert werden. Die daraus resultierende Bewegungsökonomie wirkt möglichen Verspannungen in der Muskulatur entgegen. Die entstehende Vielfalt erweitert gleichzeitig das künstlerische Potential.

 

        Das Übersetzen zwischen musikalischen Parametern (Klangdauer, Klangintensität usw.) und Bewegung schult auch die Koordination der Bewegungsabläufe.

Wahrnehmen, Denken und Bewegen werden einander zeitlich zugeordnet und können wie unter einem Vergrößerungsglas beobachtet und differenziert werden. Die „parallele Beobachtung“ - musikalisch ausgedrückt, die „polyphone Beobachtung“ - bezieht sich einerseits auf die Prozesse innerhalb wie auf die Gleichzeitigkeit der Ereignisse außerhalb der Person. Diese Kompetenz ist zum Spiel im Orchester oder beim Gesang auf der Bühne notwendig.

 

        Musik wird gehört, Tanz wird gesehen. In der Rhythmik dient das Übersetzen, das mögliche Überwechseln zwischen den beiden Ausdrucksmedien Musik und Bewegung dazu, um auch andere gleichzeitig auftretende, unterschiedliche sog. synästhetische Sinneseindrücke für Gestaltungsprozesse zugänglich zu machen (La Motte-Haber, 1990).

 

Sehen, Berühren, Bewegungsempfindung, Gleichgewichtssinn, Hören und auch Riechen und Schmecken begleiten gleichzeitig unser Leben. Sie werden aber uns nicht gleichstark bewusst. Eine spontane Erinnerung bzw. Vernetzung dieser Eindrücke stellt unerwartete Konotationen, d. h. Verknüpfungen, dar. Nicht nur Bewegungen, die klingen, oder Klänge, die sich bewegen, entstehen in uns, sondern auch Bilder, Farben oder Düfte erscheinen in unserer Vorstellung. Dieser Hintergrund stellt eine der wichtigsten Quellen künstlerischer Kreativität dar (Gutjahr, 1990). In der Rhythmik werden diese Zusammenhänge methodisch untersucht.

 

Charakteristik der Methode

Rhythmik als Fach innerhalb der Musikausbildung hat primär eine künstlerisch-pädagogische und keine therapeutische Aufgabe. Sie zielt jedoch durch ihre spezifische methodische Vorgehensweise auf eine Erweiterung der persönlichen Kompetenz der Musiker im Hinblick auf Spielverhalten und Ausdrucksmöglichkeiten sowie des sozialen Verhaltens ab. Viele der spezifischen Musikerprobleme entstehen durch all zu schnelle Übernahme von Bewegungs- und Interpretationsmodellen beim Fehlen persönlicher Lern- und Gestaltungsstrategien. Charakteristisch ist, dass der Unterricht in sog. Spiel-Lern-Situationen stattfindet (Ring, Steinmann, 1997). Die Aufgabenstellung erfordert eine persönliche, kreative Lösung, die das Prinzip „Musik in Bewegung“ und umgekehrt „Bewegung in Musik“ umsetzen soll. Zudem findet der Unterricht nicht wie meistens beim Instrumentalspiel individuell, sondern in einer Gruppe statt. Dadurch ist - wie in einem „Labor“ - ein Vergleich unterschiedlicher Verhalten und Lösungen möglich.

 

Der Rhythmikunterricht basiert auf der Erfahrung von großräumigen Bewegungen des ganzen Körpers. Diese Art, sich zu bewegen, stellt nicht nur eine willkommene Abwechslung gegenüber dem Instrumentalspiel dar, sondern vermittelt den ganzkörperlichen Zusammenhang; auch der sich körperlich manifestierte Zusammenhang der eventuellen Probleme wird deutlich. Das Lösen von Verspannungen, die öfters psychomotorischer Natur sind, beruht auf dem Finden neuer Verhaltensweisen und Bewegungsstrategien. Hierbei werden sie zunächst experimentell erprobt, dann analysiert und neu gestaltet.

 

Dies soll nachfolgend an einigen Beispielen veranschaulicht werden.

 

Beispiel 1

Teilnehmer einer Gruppe bewegen sich frei in einem Unterrichtsraum. Einer von ihnen spielt eine Tonfolge (spontan improvisiert) auf einem Instrument und gibt dabei das Tempo und die Art der Bewegung vor. Die Teilnehmer der Gruppe versuchen, dem musikalischen Verlauf zu folgen: jedes Aufsetzen des Fußes auf dem Boden entspricht einem akustischen Ereignis.

 

Danach ein Wechsel: eine Person bewegt sich frei im Raum. Die Gruppe beobachtet das Aufsetzen der Schritte und gibt mit verabredetem Tonmaterial die Geschwindigkeit und Artikulation der Bewegung wieder.

Diese Art von Interaktion wird im Paar – Musiker und „Beweger“ – noch genauer abgestimmt.

 

In diesem einfachen Beispiel kommt es darauf an, dass die „Beweger“ aufgefordert sind, ganzkörperlich die Tonfolgen nachzuvollziehen und die Bewegung des Körpers dem Rhythmus bzw. der Qualität der Tonfolgen anzupassen. Das Körperempfinden wandert in ein anderes Ausdrucksmedium. Der Musiker nimmt die Erfahrung „als Tänzer“ direkt in sein Spiel auf. Der Klang bekommt eigene Körperlichkeit.

 

Beispiel 2

Eine Gruppe bewegt sich frei im Raum, jeder Teilnehmer bestimmt sein eigenes Tempo und seinen Weg im Raum. Es heißt „gehe so schnell wie es dir momentan geht“. Man sieht, dass die sog. Morgenmuffel eher im gemächlichen Tempo gehen, die Morgenjogger dagegen sind gleich in hochaktiver Verfassung. Jeder Teilnehmer bleibt „bei sich“. Er soll nach und nach seine Aufmerksamkeit auf die eigene Geschwindigkeit, seine Geräusche am Boden, auf den „Fußabdruck“, Schrittgröße, Stellung der Füße und Knie zueinander, das Pendeln der Arme, die Kopfneigung usw. richten. Danach wandert die Aufmerksamkeit zu den anderen Teilnehmern. Die eigene Bewegung soll in allen Qualitäten beibehalten werden. Das Gehen im eigenen Tempo wird schwieriger.

 

In weiterer Folge werden die Teilnehmer gebeten, ein gemeinsames Tempo in der Gruppe zu finden. Das dauert ohne fremdes Dirigat eine Weile. Dabei finden selbständige Entscheidungen und Anpassungsprozesse statt.

 

In einer dritten Phase sollen die Teilnehmer zum eigenen Tempo zurückkommen. Hierbei steht die körperliche Erinnerung an das eigene Befinden wieder im Vordergrund.

Während der ganzen Übung wird der Bewegungsverlauf nicht angehalten. Die Aufmerksamkeit wechselt fließend ihr Betrachtungsobjekt.

 

In dieser Übung sollen die Teilnehmer den Zusammenhang zwischen Tempo und eigener Körperlichkeit erfahren. Jedes Tempo hat eine eigene Befindlichkeit. Wie fühlt sich ein Tempo „andante“ und wie „vivace“. Dieses Experiment führt den handwerklichen Umgang mit Musik zurück auf ganz persönliche Erfahrungen.

Auch werden dabei die Möglichkeiten der Teilnehmer zur Abgrenzung bzw. zur Teilnahme in der Gruppe geübt. Das präventive Anliegen ist dabei u. a., dass die Teilnehmer ihre Aufmerksamkeit nicht nur auf sich richten, sondern auch auf das Verhalten der anderen in der Gruppe, und dass diese Interaktionen bewusst geübt werden (Schäfer, 1992).

 

Die Musikinstrumente werden durch unterschiedliche Arten der Berührung zum Klingen gebracht. Daher leiten andere Spiel-Lern-Situationen unterschiedliche Qualität der Bewegung aus der Wahrnehmung der Berührung (Berührungsfläche, -dauer, -intensität) ab. Sie spiegelt sich in musikalischer Artikulation der Klangfolgen wider.

 

Weitere Aufgaben der Rhythmik wie zum Beispiel das Reagieren auf verabredete optische oder akustische Signale in improvisierter oder festgelegter Art und Weise trainieren Ausgewogenheit zwischen Spontaneität und Kontrolle.

 

Indikationen

Rhythmik bietet aufgrund ihrer komplexen Struktur nicht nur grundlegende Ansätze für die musikalisch-ästhetische Bildung, sondern über das rhythmische Element einen unmittelbaren Zugang zur Körperlichkeit des Menschen. Es geht dabei nicht um Korrektur von Symptomen des Bewegungsverhaltens, sondern um eine tief greifende Umstrukturierung des Bewegungsverhaltens. Im Einzelnen lassen sich drei Indikationsbereiche aufgreifen.

 

        Rhythmik kann generell der Prophylaxe von Berufsbeschwerden dienen, da sie als komplementäres Unterrichtsangebot das Instrumental-/Gesangsstudium um die Dimension musikbetonter Körperbewegung auf der Basis vertiefter sensomotorischen Wahrnehmung erweitert.

 

        Rhythmik kann die persönliche Entfaltung, in der auch die soziale Kommunikationsfähigkeit enthalten ist, als Basis jeder Musikerpraxis fördern.

 

        Rhythmik kann die Aufdeckung von ursächlichen Zusammenhängen bezüglich individueller Probleme unterstützten.

 

Der Rhythmikunterricht sollte möglichst frühzeitig komplementär zum Instrumentalunterricht stattfinden, da seine Wirkungen im Schaffen von größeren systemischen Zusammenhängen liegen (Gaier, 1986).

 

Ausbildungsmöglichkeiten

Rhythmik als Wahlpflichtfach (Fach-/Fakultätsübergreifender Unterricht) kann an Musikhochschulen und an Musikschulen in Anspruch genommen werden.

Teilnehmer: Instrumentalisten, Sänger, Dirigenten und auch Musikpädagogen. Die Teilnahme ist testatpflichtig.

 

Rhythmik als Hauptfach kann im Rahmen des Diplomstudienganges Musikerziehung in Deutschland an Musikhochschulen studiert werden. Das Fach hat neben dem musikpädagogischen auch einen künstlerischen Schwerpunkt. Zu den Fächern gehören z. B. Studium eines Instrumentes, Improvisation am Instrument, mit Stimme und Bewegung, basale Körperarbeit und zeitgenössischer Tanz sowie Anatomie und Physiologie.

 

Neben den Schul- bzw. hochschulgebundenen Angeboten gibt es die Möglichkeit, auf privater Basis einen Unterricht in Anspruch zu nehmen. In der Praxis stehen Rhythmiklehrer der Zusammenarbeit mit Instrumentalpädagogen und Musikern jederzeit offen gegenüber.

 

Literaturverzeichnis

Gadenne, Volker (1996): Bewusstsein, Kognition und Gehirn. Einführung in die Psychologie des Bewusstseins, Huber Verlag, Bern, S. 57-66

Gaier, Ulrich (1986): System des Handelns. Eine rekonstruktive Handlungswissenschaft. Klett-Cotta-Verlag, Stuttgart, S. 93 ff.

Gibson, James (1973): Die Sinne und der Prozess der Wahrnehmung. Huber Verlag, Bern

Goller, Hans 1992: Emotionspsychologie und Leib-Seele-Problem. Kohlhammer Verlag, Stuttgart, Kapitel 3 und 4

Günter, H. (1990): Geschichtlicher Abriss der deutschen Rhythmusbewegung. In: Eva Bannmüller, Peter Röthig (Hrsg.): Grundlagen und Perspektiven ästhetischer und rhythmischer Bewegungserziehung. Ernst Klett Verlag für Wissen und Bildung, Stuttgart

Gutjahr Elisabeth (1996): Der Mythos Kreativität oder die Erfindung des Selbstverständlichen. Verlag für Wissenschaft und Bildung, Berlin

Jaques-Dalcroze, Emile (1988): Rhythmus, Musik, Erziehung. Basel 1921/Reprint Kallmeyersche Verl., S. 48, 55, X

La Motte-Haber, Helga (1999): Musik und Bildende Kunst. Von der Tonmalerei zur Klangskulptur. Laber Verlag, S. 44

Moeglin, Klaus (2002): Integrative Bewegungslehre. Lehren und Lernen von Bewegungen. Teil 3. Prolog Verlag, Immenhausen, S. 411

Ring, Reinhard, Steinmann, Brigitte (1997): Lexikon der Rhythmik. Bosse Verlag, Kassel, S. 65

Schäfer, Gudrun (1992): Rhythmik als interaktionspädagogisches Prinzip. Waldkauz-Verlag, Remscheid, S. 148

Tervooren,Helga(1987):  Die rhythmisch-musikalische Erziehung im ersten Drittel  unseres Jahrhunderts. Europäische Hochschulschriften. Peter Lang Verlag, Frankfurt a.M.,S. 405

 

Erscheinungsort Gedruckte Fassung:

"Physiotherapie" (Hrsg. Prof. Eberhard Conradi) Sonderheft der Deutschen Gesellschaft für Musikerphysiologie und Musikermedizin (Berlin, 2004).

Vita

Studierte Rhythmik und Schulmusik (Klavier, Gesang und Chorleitung) an der Hochschule für Musik in Poznań/Polen. Es folgte ein Ergänzungsstudium Ergänzungsstudium „Moderne Tänzerische Bewegungserziehung nach der Methode Rosalia Chladek“ in Straßburg/Frankreich. Sie lebt seit 1981 in Deutschland und unterrichtet seitdem im Bereich der Musikaus- und Weiterbildung (u. a. Lehraufträge an der Hochschule für Musik „Hanns Eisler“ Berlin, Universität Potsdam, Universität Nürnberg-Erlangen und seit 1991 an der Universität der Künste Berlin).

 

 

Kontakt

Grażyna Przybylska-Angermann

Telefon: +49-911-539 8 539

E-Mail: prz-angermann@onlinehome.de  

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